Interview geführt von Beatrix Kirchheck
Am Frühlingsfest hatte ich die Gelegenheit, den neuen Physiklehrer an unserer Schule, der es schafft, die Kinder für ein Fach zu begeistern, was nicht vielen Lehrer gelingt, kennen zu lernen. Wie er das macht und wer er ist, durfte ich in einem Interview am Fest erfragen.
Schon Herr Biffis Erscheinung ist beeindruckend. Ein groß gewachsener Italiener mit langen Haaren, der sportlich und doch nahezu elbenhaft über den Schulhof schreitet. Das muss er sein, der „Neue“, von dem meine Tochter berichtete und dessen Tafelbilder mehr Gemälden, denn Schulzeichnungen gleichen. Bei einem Eis bat ich ihn, sich kurz vorzustellen. So erfuhr ich, dass er 46 Jahre und gelernter Ingenieur ist. 10 Jahre in seinem Beruf brachten aber nicht das, was er schon lange suchte: sich. Also, begab er sich auf den Weg zu sich selbst, verließ seinen Job und ging an eine Waldorfschule in Florenz, um dort anfangs Mathe zu unterrichten. Da sein Vater Yogalehrer war, war ihm diese naturnahe und philosophische Welt vertraut. Mittlerweile unterrichtet er auch Physik und erkundet die Welt. So war er vorher in Italien und der Schweiz an Waldorfschulen und nun für einen Monat bis Mitte Juni hier, um Waldorfschülerinnen und -Schüler auf Englisch in Physik zu unterrichten. Deutschland hat ihn schon lange begeistert, er wollte erfahren, wie Waldorf hier gelebt wird.
Was ihn an seinem Beruf so fasziniere, wollte ich gerne wissen bzw. was Waldorfschulen von anderen Schulen unterscheide. Er ist der Ansicht, dass Waldorflehrkräfte und so auch er den Kindern das mitgeben, was sie brauchen und nicht das, was die Konventionen fordern. So werden sie bewusste und gefestigte Erwachsene. Er versuche, die intrinsische Motivation der Kinder zu wecken. Denn nur das, was von Innen kommt, festigt sich in den Menschen. Das schaffe er, indem er sich selber für das, was er tut, begeistere. Er lebe das, was er tut. Und das spüren die Kinder. Natürlich plane er die Experimente und auch die Stunde, aber am Ende müsse vil Raum für die Kinder bleiben, der sich dann spontan z.B. in Diskussionen ergibt. Wer alles plant, beraube sich der Möglichkeit, dass wunderbare Möglichkeiten sich aus dem Unbekannten ergeben und auch der Möglichkeit, sich ganz auf die individuellen Kinderfragen einzulassen.
So sei es auch mit seinen Tafelbildern. Das Malen hätte er sich selber beigebracht – als Neugierde; und dann immer weiter ausprobiert. In jedem Tafelbild sei ein Stück von ihm, von seiner Leidenschaft und ein Stück seines Herzen drin. Deswegen wäre auch kein Bild, wie das andere, auch wenn es das gleiche Motiv sei. Jedes Tafelbild sei ein Geschenk an die Kinder. Daher schmerze es ihn auch nicht, wenn es dann weggewischt werde. Es komme das nächste.
Was einen guten Lehrer in seinen Augen ausmache, interessierte mich. Dass dieser Lehrer und Schüler zugleich sei. Er lehre die Kinder und lerne gleichzeitig von ihnen. Den Geist stets offen für Neues und Veränderung bzw. andere Lösungen zu haben, hält Andrea Biffi für wichtig. Wer alle Antworten immer kenne, verschließe sich. Ein guter Lehrer sollte enthusiastisch sein und Forschergeist haben. Bei Experimenten sei er aufgeregter als die Kinder. So sagte er: „I set up my experiences. But I leave open place to let life happen.” Die besten Stunden wären gewesen, wenn die Schülerinnen und Schüler und nicht er im Vordergrund gestanden haben. Er versuche stets, wertfrei und ohne Urteil den Kindern zu begegnen. Aber auch Geduld sei eine wichtige Tugend für Lehrerinnen und Lehrer. Denn nur so gäbe man dem Menschen die Möglichkeit, sich individuell zu entfalten. Ihn könne man nur schwer verärgern, schmunzelte er.
Ob die Reise mit diesem Job zu sich selbst erfolgreich war, fragte ich ihn. Herr Biffi erforsche sich immer selbst. Der Beruf wäre dabei für ihn nicht einfach nur ein Job, sondern auch eine Forschungsreise zu sich. Wie immer, wenn man dem Ruf seines Herzens folgte. Er sei immer auf der Suche nach dem Schönen im Leben. Das wiederum könne man nur erkennen, wenn man das Schöne in sich gefunden hat, sind Herr Biffi und ich uns einig.
Nach so viel beeindruckender Philosophie interessierte mich noch seine Einstellung zu Künstlicher Intelligenz (KI) und Technologie allgemein. Er bedauert, dass sich so viele Menschen durch die Technik von der Natur, also letztendlich von sich selbst abschneideten. KI nähme den Menschen die Vorstellungsgabe. Das wiederum sei unser Schöpfungspotenzial. KI zu verbieten, hält er jedoch für den vollkommen falschen Weg. Vielmehr ist ihm wichtig, dass ein Mensch, der, welche Technologie auch, immer nutzt, diese Technologie kennen sollte. Oder anders ausgedrückt: wer die Technologie nicht kennt, die er nutzt, werde von der Technologie benutzt. Er hält es für wichtig, insbesondere junge Menschen über Technik aufzuklären und sie zu lehren, die Technik als Tool zu verstehen. Die virtuelle Welt sei verlockend, daher sei es wichtig, jungen Menschen ausreichende Optionen zu bieten, die spannender sind, als die virtuelle Welt. Folglich wäre es die Aufgabe von Eltern und Lehrkräften, die jungen Menschen für das reale Leben zu begeistern.
Ich hätte noch stundenlang mit Herrn Biffi philosophieren können. Am meisten begeisterte mich, dass es nicht nur Worthülsen sind, sondern dass er seine Werte auch lebt. Kein Wunder, dass meine Kinder voller Freude von seinem Unterricht erzählen und den Experimenten nacheifern.
Für das Gespräch und die wunderbaren Eindrücke danke ich Herrn Biffi. Anfangs hatte ich überlegt, Chat GPT den Text schreiben zu lassen. Jetzt bin ich froh, es nicht getan zu haben und stattdessen, seine Begeisterung live erlebt und zu Papier gebracht zu haben. Chat GPT ist ein Wunderwerk, aber letztendlich nur ein Tool, der Menschen unterstützt und ergänzt, aber nicht ersetzt.
Fotos Magda Kačičnik